Herzrhythmus­störungen vermeiden?

 

Immer wieder werde ich gefragt: 
Kann man Herzrhythmusstörungen wirksam vorbeugen?

Eine schnelle Antwort darauf gibt es – wie bei so vielen Dingen des Lebens – leider nicht. Oder doch: Es kommt darauf an.

Die Bandbreite der Herzrhythmusstörungen ist umfangreich und vielseitig. Darin Muster zu finden und adäquate Prognosen abzugeben ist schwer, benötigt umfangreiches Spezialwissen und langjährige Erfahrung.

Vorhoffflimmern

Medizinische Prognosen basieren in den allermeisten Fällen auf statistischen Wahrscheinlichkeiten für den Verlauf einer gesundheitlichen Störung oder Erkrankung.
Nehmen wir das Beispiel einer Corona-Infektion in der aktuellen Pandemie mit dem SARS-CoV-2-Virus. Wie wahrscheinlich ist für jeden einzelnen die Möglichkeit eines schweren Verlaufs mit Intensivstation, Langzeitbeatmung oder gar Tod?
Ganz zu Beginn der Pandemie war eine vernünftige Aussage kaum möglich. Erst durch die Analyse des Erkrankungsmusters tausender Corona-Patienten wurde die Vorhersage nicht nur für die Gesamtbevölkerung genauer, sondern ganz besonders für die einzelnen Risikogruppen. Und das gilt auch für die rasant entstehenden Virusvarianten entlang des griechischen Alphabets. 

Grundsätzlich kann man sagen, dass Menschen mit höherem Lebensalter, Immunschwäche, Diabetes mellitus, schweren Herzkreislauferkrankungen, Übergewicht etc. ein höheres Risiko für Komplikationen haben als diejenigen ohne diese Risikofaktoren.

Allerdings ist auch für scheinbar Gesunde ein schwerer Verlauf möglich – und zwar im Verhältnis von 1:100 im Vergleich zu Erkrankten mit Risiken.

So ähnlich ist es auch bei den Rhythmusstörungen. Ob eine Arrhythmie gefährlich ist oder nicht, wird nicht selten durch das Vorhandensein von Risikofaktoren definiert, bleibt aber eine statistische Wahrscheinlichkeit.
Eine AVNRT – atrioventrikuläre nodale Reentry-Tachykardie – wird im Allgemeinen als gutartig betrachtet. Sie betrifft häufig jüngere Erwachsene, die sich über die Jahre mit dieser anfallsweisen Rhythmusstörung arrangieren und sie durch bestimmte Manöver beenden können oder sie bis zum spontanen Ende einfach ertragen. Die wenigsten wissen, dass für diese «harmlose» Rhythmusstörung durchaus schwere Komplikationen möglich sind. In seltenen Fällen kann sie nämlich bei jungen Menschen und scheinbar Gesunden zu plötzlicher Bewusstlosigkeit führen – statistisch mit etwa 5% zwar wenig besorgniserregend, aber sicher nicht gänzlich zu vernachlässigen. Und eine plötzliche Bewusstlosigkeit («Synkope») am Steuer bei 160 km/h auf der Autobahn oder beim Freeclimbing …
Na, darüber wollen wir am besten gar nicht nachdenken.

Auch für die meisten anderen Herzrhythmusstörungen ist das Gefährdungsrisiko nie mit 100%-iger Sicherheit vorherzusagen aber zumindest statistisch – unter Einbeziehung des individuellen Risikoprofils – eingrenzbar.

So viel zur Schwierigkeit, Herzrhythmusstörungen von vornherein ein Label zu verpassen mit der Aufschrift «Lapalie» oder «Danger». Deswegen ist mein Ratschlag für gelegentliche Rhythmusstörungen – noch vor der eigentlichen Vorbeugung – die Dokumentation und die Klassifizierung derselben. Dazu gibt es inzwischen tolle Tools wie Smart Watches mit EKG-Funktion – Elektrokardiogramm, Langzeit-EKG und einiges mehr. Die schnell wachsende Tele-Medizin hat gerade durch die Diagnostik von Herzrhythmusstörungen einen gewaltigen Aufschwung erlebt.

Gibt es eine Art Prophy­laxe für Herz­rhythmus­störungen?

Immer wieder werde ich zu meiner Meinung zur Prognose einer Herzrhythmusstörung gefragt. Ohne ein «Ereignis»-EKG, eine Dokumentation der Rhythmusstörung, geht – salopp gesagt – gar nichts. Das ist ungefähr so, als ob man zum TÜV geht und sein Auto nicht dabeihaben würde. Auch das EKG allein ist noch nicht die volle Wahrheit: Erst mit der Vorgeschichte und ergänzenden Befunden wird das Bild rund.

Gibt es eine Art Prophylaxe für Herzrhythmusstörungen?

Für vereinzelte Extraschläge aus den Vorhöfen oder den Hauptkammern reicht sicher das Wissen, dass die beobachteten «Palpitationen» harmlos sind.
Gehen Rhythmusstörungen aber mit Symptomen wie Schwindel, Luftnot, Brustschmerzen oder gar Ohnmachtsanfällen einher, ist es höchste Zeit für eine weiterführende Diagnostik.

Trotzdem muss ich hier noch eins draufsetzen: Immer wieder wird über Reanimationen und Todesfälle bei völlig beschwerdefreien Sportlern bei Volkslauf-Veranstaltungen berichtet (diejenigen, die beim Training einen Herzstillstand erleiden, schaffen es nicht in die Schlagzeilen und auch nicht in die Statistiken). Selbst unter Leistungssportlern finden sich wiederholt Beispiele von Herzversagen (de facto fast immer aufgrund von Kammerflimmern). Oder wir finden im Rahmen medizinischer Routineuntersuchungen bei völlig gesunden Patienten ganz zufällig im EKG Zeichen für eine potentiell gefährliche angeborene Herzrhythmusstörung.

Die Frage stellt sich also: 

Könnten wir diese Fälle früher entdecken, um wirksam vorzubeugen?

Die Antwort: Schwierig, logistisch aufwändig und extrem teuer. Eigentlich bräuchte jeder Mensch von der Geburt an regelmäßig ein EKG … und ein Langzeit-EKG…und ein Belastungs-EKG…und ein Echokardiogramm…und eine Laboruntersuchung…und eine detaillierte Anamnese… und körperliche Untersuchung… Eine Frage also ggf. des Hyper-Caring und durchaus passend zur Diskussion des «gläsernen Menschen».

Aber: Zumindest für junge Wettkampfsportler gibt es beispielsweise in Italien schon seit den Achtzigern des letzten Jahrhunderts ein aufwändiges Programm – mit EKG, Echokardiografie, Anamnese und körperlicher Untersuchung. Für diese kleine Bevölkerungsgruppe hat sich die Mortalität (Sterblichkeit an plötzlichem Herztod) durch das konsequente Ausschließen suspekter Patienten vom Wettkampfsport von 1982 seit Initiierung des Programms bis 2004 um 89% senken können. Im gleichen Zeitraum ist die Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung erwartungsgemäß unverändert geblieben. Die andere Seite, die allerdings nur wenig bekannt ist: Hunderte, vielleicht Tausende mussten aufgrund eines falsch positiven Befundes in diesem Programm ihre Sportschuhe an den Nagel hängen, haben ihr Rennrad verschrottet oder ihr Surfbrett zersägt …

Für uns «normale Menschen» außerhalb des Wettkampfsports gilt: Wir werden noch eine ganze Weile weiter mit den statistischen Wahrscheinlichkeiten leben müssen und auch damit, dass das Leben nicht ganz ohne Risiko ist.

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